Dieses Interview mit Simon Brückner (Regisseur) ist für Berichterstattung verwendbar.
Warum haben Sie einen beobachtenden Dokumentarfilm über die AfD gemacht, Herr Brückner?
Die Idee für den Film ist über einen längeren Zeitraum entstanden. Die AfD war ja mit knapp 13% bei ihrer ersten Bundestagswahl plötzlich sehr erfolgreich und läutete eine gesellschaftliche Polarisierung von rechts ein. Sie wurde als Partei dann schnell durch ihre radikalen Anteile bedrohlich – und für viele, mich eingeschlossen auch abstoßend.
In dieser Situation spürte ich einen vielleicht typischen Zwiespalt: einerseits, nicht richtig hinsehen zu wollen, weil es ja nervt, sich damit zu befassen, aber andererseits die Befürchtung, dass wir einer Entwicklung entgegensehen, die sich verselbstständigen könnte. Einen Rechtsdrift, der nicht nur bereits Radikale, sondern auch viele Wähler der Mitte abholt. Aber will man alle AfD-Sympathisanten bereits für verloren erklären und alles öffentliche Sprechen auf Taktik reduzieren? Verstehen wir wirklich, was dort passiert? Die Situation zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der AfD schien mir schon 2017, zu Beginn meiner Recherchen, so verfahren, dass man auf der Ebene des Diskurses nicht mehr weiter zu kommen schien. Das destruktive Verhalten der neuen Partei und die Gefahren einer rechtsnationalen Entwicklung waren ebenso bedrückend wie die dahinter stehenden Problemlagen unübersichtlich und die Frage der richtigen politischen Reaktion umstritten. Mir selbst fiel das Sprechen über die AfD ebenfalls schwer. Trotzdem war das Thema zu groß, um es zu ignorieren. Was konnte ich tun? Irgendwann kristallisierte sich die Absicht heraus, einen gänzlich unpopulistischen Film über Populisten zu drehen.
Ich glaube der Impuls beobachten zu wollen entstand, um Distanz zu gewinnen, auch zu meinen eigenen, emotional-reflexhaften Reaktionen. Analyse braucht eben Vorarbeit. Ich dachte, vielleicht kann ich mit den Mitteln des beobachtenden, nicht wertenden Kinos etwas sichtbar machen, ein Dokument erzeugen, dass dazu anregen kann, wieder genauer hinzusehen, zu begreifen, zu debattieren.
Wie haben Sie sich auf den Film vorbereitet? Wie haben Sie das künstlerische Konzept entwickelt?
Die wichtigsten Aspekte meiner Herangehensweise waren, in Anlehnung an die Tradition des direct cinema, nur zu beobachten, nicht einzugreifen, keine Interviews zu führen und den fertigen Film sprachlich nicht zu kommentieren. Außerdem habe ich früh entschieden, den meines Wissens erstmaligen Versuch zu unternehmen, einen Film über eine ganze Partei zu drehen, in Form von ausschnitthaften Innenansichten. Also keinen Film über einzelne Politiker und ihre Geschichten, sondern über die Innenwelt, den gemeinsamen Kommunikationsraum dieser Partei. Dabei sollte, durch bestimmte ästhetische und dramaturgische Verfahren nicht nur Nähe sondern sondern auch Distanz ermöglicht werden. Wir sind nah dran aber als eigenständige, äußere Beobachter; der Film drückt uns nicht in eine Identifikation mit den Protagonisten. Deshalb haben wir uns mit klassischem Storytelling zurück gehalten und „Eine deutsche Partei“ sehr brüchig, vielleicht auch etwas spröde angelegt.
Es gab eine längere Entwicklungsphase, in der ich klären musste, ob es mir überhaupt gelingen könnte, tief genug in die Partei vorzudringen, um dort mehr zu bekommen, als das, was mir die Protagonisten zeigen wollen. Das war die wichtigste Frage: Kann ich hinter die Fassaden blicken? Und das war auch später für den Filmschnitt das Hauptkriterium: Jede Szene musste mehr und weniger zeigen als das, was die Politiker darstellen wollten. Das Gute war, dass ich viel wegwerfen durfte – am Ende habe ich 500 Stunden Rohmaterial an den Schneidetisch gebracht.
Für die Beobachtung habe ich mir auferlegt, von eigenen Positionierungen und Bedenken Abstand zu nehmen. Ich habe mir gesagt: Okay, da sind Leute, die leben in einer anderen Normalität. Genauso wie meine eigenen politischen Positionen nicht voraussetzungslos sind, sondern mit meinem Leben zu tun haben, wie es bisher lief. Wenn ich also in der Mitte der AfDler beobachten könnte und dabei versuchte jede simple Erklärung und Vorverurteilung sein zu lassen: Was sähe ich dann eigentlich?
Um ein möglichst normaler Teil der Vorgänge zu werden, habe ich selbst die Kamera geführt und manchmal ganz alleine oder nur mit einer Tonperson gearbeitet. Ich habe eine leichte Vollformatkamera genutzt, die ich manchmal stundenlang auf der Schulter hatte. Dadurch dass ich meinen visuellen Standpunkt – bei den Besprechungen saß ich oft mit am Tisch – selten wechselte und mit festen Brennweiten arbeitete, konnte hinterher in der Montage ein konsistenter filmischer Raum erzeugt werden, der nicht abstrakt ist, sondern dem Publikum das Gefühl gibt, selbst körperlich in einem realen Szenario anwesend zu sein.
Wie haben Sie es geschafft Zugang zu einer Partei zu erhalten, die den etablierten Medien gegenüber feindselig ist?
Ich kannte jemanden, der in die Partei eingetreten war und mich bei einem Berliner Bezirksverbandstreffen vorstellte. Ich habe gesagt: „Ich bin nicht euer Wähler oder Anhänger, aber ich möchte eine möglichst realistische und differenzierte Darstellung machen.” Daraufhin gab es dann von der anderen Seite eine erste Offenheit. Mein Ansatz der reinen Beobachtung war hilfreich, denn das Gefühl der AfDler immer böswillig falsch dargestellt zu werden, war nicht bloß taktische Pose, sondern psychologische Realität. Bei jenem ersten Treffen sagte jemand: „Wenn Sie den Film so machen, wie Sie das gesagt haben, könnte das ein richtig guter Film werden. Und gut bedeutet nicht zwangsläufig gut für uns.” Das wäre im Grunde der Optimalfall, dass die AfDler sich auch fragen: ‘Wer sind wir eigentlich als Partei?’. War natürlich nicht immer so. Es gab auch viel Taktik, die wir unterlaufen mussten.
Es gab für das Projekt ein paar Grundregeln, die beide Seiten akzeptierten. Ich habe immer klar gemacht, dass niemand aus der AfD ein Mitspracherecht beim Schnitt haben wird. Entsprechen konnte ich dem Wunsch der Partei, den Film nicht vor der Bundestagswahl zu veröffentlichen, weil ich zu diesem Zeitpunkt eh noch drehen wollte. Zu Beginn eines Drehtages mussten sich die Gremien einverstanden erklären. Wenn zu viele Leute dagegen waren, zog ich wieder ab. Ich habe stets deutlich gemacht, dass ich nur komplette Arbeitsstrecken im Prozess begleiten will und keine Ergebnispräsentationen abfilme. Am Ende eines jeden ersten Drehtages habe ich Neulingen die Gelegenheit gegeben, einen Komplettrückzieher zu machen. Danach galt: gedreht ist gedreht.
Tatsächlich passierten immer wieder Rückschläge. Für eine Tür, die sich öffnete, schlossen sich drei andere. Einen Krisenmoment gab es z.B., als der Bescheid der Filmförderung veröffentlicht wurde; da hieß es: „Aha, der Brückner ist von der Bundesregierung finanziert, Lügenpresse, alles klar…”. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es dann schon genug Protagonisten, die sich in gewisser Weise auf das Projekt festgelegt hatten. Außerdem hatten einige AfDler mitbekommen, wie ich arbeite und dass ich mich an meine Absprachen hielt.
Warum haben Sie sich dazu entschieden keinen Kommentar im Film zu verwenden? Liegt darin nicht auch die Gefahr gewisse Situationen nicht einordnen zu können?
Ohne sprachlichen Kommentar schauen wir anders. Wir erspüren mehr die Eigenlogiken der gezeigten Phänomene und ergreifen die Chance sie außerhalb unserer festgefügten Kategorien wahrzunehmen. Bei einem Thema wie der AfD, wo Menschen- und Weltbilder kollidieren, beinhaltet das sprachliche Kommentieren ein Spezialproblem, weil alle zur Verfügung stehenden Begriffe immer schon für die ein oder andere Seite Kampfbegriffe darstellen. Wir wollten etwas sehr Komplexes mit filmischen Mitteln erfahrbar machen, was man sonst nicht sehen kann: die Innenwelten und den Kommunikationsraum dieser Partei.
Ich denke, dass wir dem Kinopublikum die eigene Auseinandersetzung zugestehen müssen. Wir haben das Material so aufbereitet, dass entscheidende Zusammenhänge sichtbar werden und wichtige Aspekte unübersehbar hervortreten. Gerade ohne sprachliche Kommentierung, die ja auch verengend wirkt und so oft eigene Assoziationen, Fragen und Ideen abwürgt, entsteht im direkten Erleben der filmischen Situation eine große Eindrücklichkeit. Immer bleibt dabei ein Interpretationsspielraum. Als Zuschauer nutze ich den quasi wie von selbst und ohne mir groß darüber bewußt zu werden, denn ich bin mit meinen Gedanken allein. Das auf der Leinwand Gesehene mit eigenen Erfahrungen in Beziehung setzen zu können, ist doch das Privileg von künstlerischem Kino, wie von Kunst überhaupt – und im Falle von Dokumentarfilm immer das Spannendere. Wer Infotainment oder eine Service-Dokumentation erwartet, ist in unserem Film falsch aufgehoben.
Ich glaube, das Thema AfD ist eben eines, wo wir oft sagen: „Ach, ich will, dass das jemand anderes für mich erledigt.” Unser Film zwingt in seiner offen beschreibenden Grundhaltung dazu, selbst aktiv zu werden, sich diesem Stoff zumindest aus- und eben auch mit ihm auseinanderzusetzen. Natürlich gehen wir von der Fähigkeit des Publikums zur kritischen Reflexion aus. Ist das nicht emanzipierend? Wir erleben in unseren Vorführungen, dass die Zuschauer*innen dankbar sind, weil sie sich ernst genommen und auch befreit fühlen. Und sie wollen nach dem Film häufig mehr wissen, sich stärker mit dem Thema beschäftigen, diskutieren, lesen usw. Die dramaturgische Gängelung in den meisten Fernsehdokumentationen haben viele Leute einfach satt – ich auch.
Unterm Strich erzählt unser filmisches Mosaik natürlich eine Geschichte: der Hauptprotagonist, also die Partei, bewegt sich wie von Geisterhand unaufhaltsam nach rechts, selbst wenn nicht immer alle damit einverstanden sind. Nichts scheint diesen Prozess aufhalten zu können. Immer wieder gibt es diese Momente, in denen der Bruch mit unseren liberal-demokratischen Werten klar heraus kommt: die Xenophobie, die apokalyptischen Stimmungen, die sich selbst verstärken und Gewalt säen, das Antiegalitäre. Vermittler treten auf, die Brücken bauen zwischen erzkonservativen und völkisch-extremen Positionen. So legt der Film einen zentralen Gedanken nahe: dass die sogenannten Moderaten die eigentlich gefährlichen Kräfte sind, da sie im Gegensatz zu den ohnehin ausgegrenzten Rechtsextremen breite gesellschaftliche Allianzen schmieden.
Natürlich gibt es viele gute, mediale Darstellungen des Themas, die sprachlichen Kommentar benötigen, die wichtig sind und für die Zuschauer*innen eines beobachtenden Dokumentarfilms in der Regel vorgängig. Unser Film ist keine journalistische Einführung oder gar Gesamtdarstellung. Er liefert einen ergänzenden Ansatz für Leute, die sich vertieft auseinander setzen möchten.
Die Haltung des Films zu seinem Stoff ist oft mit „neutral“ oder „ausgewogen“ beschrieben worden. Finden Sie das zutreffend und im Falle von politischem Extremismus angebracht?
Ich halte den Film nicht für neutral, sondern für konsequent in seiner Art und Weise zu beobachten. Hier braucht es keine Diffamierung, um Kritik zu üben. Das erledigen die AfDler ganz gut selbst. Die Gratwanderung war für mich eher, zwei Dinge gleichermaßen zu vermeiden: erstens eine Apologie der AfD, also nach dem Motto: alles halb so wild, das ist eine Partei wie jede andere. Zweitens: eine „Pornographie übler Aussagen“, das heißt, sich ganz in einer Zuspitzung auf die richtige „Message“ zu verzwecken und dabei alles Widersprüchliche auszublenden. Dafür hätte es eines aufwändigen Dokumentarfilms mit drei Jahren Drehzeit nicht bedurft.
Sie können ja nicht sicherstellen, dass der Zuschauer diesen Dingen dort nicht zustimmt.
Nein, das kann ich nicht. Ich kann auch nicht verhindern, dass es regnet. Ich glaube, der Einwand fehlender Verurteilung, den Sie aufgreifen, spricht hauptsächlich zur eigenen Blase. Der Film schwebt ja nicht im luftleeren Raum, es gibt eine meinungsstarke mediale Auseinandersetzung über die AfD. Ich will etwas anderes hinzufügen von dem ich hoffe, dass es erkenntnisreich und konstruktiv sein möge. Umgekehrt: Wer alles in diesem Film vorkommende unproblematisch findet, wäre wohl durch keine zusätzliche Maßnahme meinerseits mehr vom Gegenteil zu überzeugen.
Wie haben Sie die Protagonisten ausgewählt?
Die Parteiprominenz wollte ich nicht ins Zentrum stellen. Die sind medial schon sehr besetzt, und es ist schwer sie neu zu sehen. Außerdem waren die weniger offen, vielleicht auch weniger mutig und zeitlich eh so eingebunden, dass nur ein häppchenweises Drehen möglich gewesen wäre, so wie bei einem „embedded journalist“, der jetzt auch mal mit darf.
Klar war, dass ich weniger einzelnen Figuren folgen, sondern mit Gruppen und Netzwerken arbeiten wollte – denn das ist der Raum das Politischen. Dabei habe ich versucht, unterschiedlichste Parteimilieus auf Kommunal, Landes- und Bundesebene einzubinden, auf Parlaments- und Verbandsebene, von der Basis bis ins Establishment. Das hat extrem lange gedauert und erschien mir manchmal fast nicht machbar. Eine Herausforderung war auch, dass Leute, mit denen ich schon gedreht hatte, mit anderen teilweise extrem verfeindet waren. Da war eine gewisse Diplomatie und ein Gespür vonnöten, um entscheiden zu können, ab wann ich mit wem gesehen werden darf.
Es gab den Vorwurf, dass der Film möglicherweise die ganz Radikalen ausspart. Ist das so? Und wenn ja, warum?
Ein Film, wie „Eine Deutsche Partei“, der differenziert beobachtet und im Alltag ansetzt, wird immer ein anderes Bild liefern, als der investigative oder mit retrospektiv mit Archivmaterial arbeitende Journalismus, der nach den Extremismusspitzen fahndet und dafür auch andere Mittel nutzen kann. Beide Vorgehensweisen sind legitim, beide erzeugen Bilder, an denen viel dran ist.
Da wird unser Publikum dann quasi mit einer Differenz konfrontiert, zwischen den eigenen Bildern im Kopf, wie es in einer Rechtspartei auszusehen hat und der Realität einer Partei, die mehr ist als eine extremistische Splittergruppe. Da erscheint Vieles durchaus alltäglich, banal, widersprüchlich. Wird es dadurch harmloser? Ich glaube nicht.
In einigen Szenen des Films wird gefordert, dass „muslimische Parallelgesellschaften zurückgeführt werden müssten“ – was heißt das denn? Es wird davon gesprochen, dass „Schwarze unser Land besetzen wollen“. Eine „korrupte politische Klasse“ würde „unserem Volk und unserem Land die totale Vernichtung“ bescheren. Andere behaupten, es gäbe „eine Rangordnung der Kulturen“, Flüchtlingshelfer verdienten die Todesstrafe und man müsse sich eben damit abfinden, dass die Nato für uns nicht die ganzen Flüchtlingsboote versenken würde. All diese Aussagen sind ja wohl der härtesten Kritik und Warnung würdig. Und in unserem Film treten AfD-Netzwerke auf, die sich spürbar mit dem neonazistischen Milieu überlappen.
Natürlich hatte mein Vorgehen einer unverdeckten Beobachtung auch seine Grenzen. In den Führungszirkeln der selbstbewusst extremistischen Kräfte, gar bei einer staatsfeindlichen Konspiration, wäre eine Kamera niemals zugelassen worden. Ich bin im Rückblick selbst überrascht, wie weit ich trotzdem herum- und herangekommen bin. Das Ergebnis ist eine realistische Bestandsaufnahme was die Bandbreite der Partei angeht, Vollständigkeit kann sie natürlich nicht beanspruchen.
Gab es neben Ihrer analytischen, dokumentarischen Sichtweise auch ein Maß an Aktivismus auf Ihrer Seite?
Ich würde das lieber als Forschungstätigkeit beschreiben, denn als Aktivismus. Mein letzter abendfüllender Dokumentarfilm „Aus dem Abseits“ handelte von meinem Vater, dem Sozialpsychologen Peter Brückner, der die linken Bewegungen seiner Zeit erforschte, bis hin zur RAF, wofür er von staatlichen Stellen und der Springerpresse stark angefeindet wurde. Die Beschäftigung mit ihm hat mich zu meiner aktuellen Arbeit inspiriert. Peter war immer dafür, ohne Berührungsängste, mit Bewusstsein für die Standpunktabhängigkeit der eigenen Position und direkt vor Ort zu forschen. Er ist vor allem als bekennender Linker und antiautoritärer Marxist bekannt geworden. Dass er seinen Studenten auch empfahl, rechte Autoren zu lesen und selbst keiner Diskussion mit Rechten auswich, ist weniger bekannt. Ich habe mich oft gefragt, was er wohl zur AfD gesagt hätte; er, den die Angst vor einer deutsch-faschistischen Restauration nie losgelassen hat. Ich weiß es nicht, aber bei einer Sache bin ich mir sicher: er wäre selbst hingegangen.
Also hingehen, aber mit welcher Fragestellung? Es ist kein Geheimnis, dass die AfD unsere offene, pluralistische Gesellschaft infrage stellt: dumpfe Fremdenfeindlichkeit, Verschwörungsphantasien, Hass – das alles findet dort leider ein Zuhause. Aber war das, trotz der zahlreichen Versuche der Partei sich harmloser zu geben, nicht immer schon öffentlich? Es ist ja gerade nicht so, dass man zeigen müsste, die echte AfD sei eine völlig andere, als die uns allen bekannte. Ich würde sogar sagen, der völkisch-rechtsnationale Flügel Björn Höckes war in der öffentlichen Wahrnehmung teilweise überrepräsentiert, aus nachvollziehbaren und legitimen journalistischen Gründen.
Was hieß das für uns? Wir wollten, neben dem offensichtlich Gefährlichen, manches mit abbilden, was das Sein und Funktionieren der Partei ebenfalls ausmacht. Wir befinden uns da in einem Paradox: Wenn wir nur auf die Gefahr starren, erstarren wir auch – dann bleibt unser Verständnis davon, was da eigentlich passiert möglicherweise unterkomplex. Darunter leidet wiederum die Gefahrenanalyse und der Raum für Selbstkritik schrumpft. Haben die liberal-kosmopolitischen Eliten in ihrem Beharren darauf, Migration sei für alle immer nur von Vorteil, der AfD unnötige Trumpfkarten zugespielt? War der Mainstream zu wenig bereit zu diskutieren, ob z.B. in der Verlagerung von Gesetzgebung auf die europäische Ebene, wo viele Beschlüsse kaum noch revidierbar sind, Gefahren für die Demokratie lauern? Wurde der Wert nationaler Souveränität voreilig mit Nationalismus gleichgesetzt?
Aber das sind mehr historische Fragen, die auf die begünstigenden Faktoren zielen. In ihrer Entstehung hat sich die AfD lange auch aus Gruppierungen gespeist, die selbst nicht aus dem Radikalismus kamen und von der CDU oder FDP abgewandert waren, im Osten sogar von den Linken. Einige dieser Leute haben die AfD wieder verlassen, andere haben sich mitradikalisiert, alle wurden sie durch diese Partei verändert. Die düsteren Prognosen, was die Partei betrifft, haben sich letztlich erfüllt. Doch wenn ich selbst politisch in der Kategorie der Feindschaft (und nicht Gegnerschaft) denken muss, macht mich das als Demokrat traurig, selbst wenn mir die AfD oft keine andere Wahl lässt. Nur für die wirklich Rechten existiert dieses Problem nicht, denn für sie entspricht das Denken in Freund-Feind-Schablonen ihrer eigenen politischen Theorie. Da liegt ein Dilemma. Wie sehr lasse ich mich auf die Polarisierung und den diskursiven Bürgerkrieg ein?
Wie stehen Sie zu der Haltung, man solle nicht über die AfD berichten, um ihr keine Bühne zu bieten?
Ein Journalist sagte neulich zu mir: Sie haben denen eine Bühne gebaut, auf der sie sich prima selbst zerlegen.
Aber im Ernst: die AfD ist keine 2 % Partei, sie ist in allen Landtagen und im Bundestag vertreten. Sie ist somit Teil unserer politischen Wirklichkeit und steht bereits auf den Bühnen. Ich wollte dahinter schauen, zeigen, wie sie das macht und vor allem, was in ihren Rückzugsräumen geschieht. Die AfD verschwindet nicht, wenn wir die Augen schließen und sie ist auch nicht auf meine Aufmerksamkeit angewiesen. Film und Fernsehen sind heute nicht mehr die großen Gatekeeper. Die AfD hat ihre eigenen Kanäle, auf denen sie alle Interessenten bruchlos beschallen kann.
Trotzdem sehe ich ein Problem mit unserer Medienlandschaft. In immer kürzeren Aufmerksamkeitszirkeln wird das belohnt, was laut, aggressiv, empört daher kommt. Und dazu gehören die Angebote der AfD. Der beobachtende Dokumentarfilm ist dagegen ein langsames, leiseres Medium, das Innehalten und genaues Hinschauen fördert. Er widersetzt sich der Polarisierungslogik, die ja erstmal im Interesse der Populisten liegt.
Wie sehen Sie denn den Umgang des deutschen Journalismus mit der AfD?
Im journalistischen Alltag muss sicher nicht auf jede Provokation der AfD reagiert werden, eine qualitätsvolle Auseinandersetzung ist trotzdem unumgänglich. Das Verdrängte kehrt immer zurück, auch gesellschaftlich. Es wird gerne behauptet, der deutschen Journalismus hätte die AfD erst groß gemacht, in dem er zu viel oder zu neutral berichtet hätte. Meines Wissens nach ist die Evidenz dafür dürftig. Scharf war die Kritik an der Partei bereits ziemlich früh. Und im ersten Bundestagswahlkampf 2017 wurde nicht überproportional viel über sie berichtet. Ich befürchte sogar, dass die erschrockenen Versuche, die es später mehrfach gab, die AfD auszusparen und auszuladen, paradoxe Wirkungen bei den relevanten rechtsoffenen Zielgruppen entfaltet haben. Es gab Journalisten, die vergaßen kritisch nachzuhaken, aber anderen merkten man dafür an, dass sie ihre Gesprächspartner von der AfD gar nicht ausreden lassen wollten, der Befürchtung wegen, diese könnten irgendwie ihre absurden Theorien verbreiten oder gar einen guten Punkt machen. Die SPIEGEL-Journalistin Melanie Amann hat in ihrem Buch über die Partei „Angst für Deutschland“ solche Phänomene gut und für ihren Berufsstand solidarisch-kritisch beschrieben. Es ist eine Herausforderung, aber in der Vergangenheit eben nicht immer gelungen, diejenigen, die man an die Regeln in der Demokratie erinnern muss, so zu behandeln, dass man selbst diesen Regeln und Ansprüchen genügt.
Gab es Punkte, die Sie besonders erstaunt haben bei Ihren Drehs?
Überrascht hat mich schon, wie heterogen diese Partei immer noch war. Der Kosmos der AfD wirkt teilweise chaotisch, anarchisch und programmatisch inkonsistent. Viele Einzelkämpfer, wenig Solidarität. Aber die Netzwerke arbeiten umso disziplinierter, je weiter man an den extremen Rand kommt – was zu dessen überproportionalem Einfluss auf die AfD beigetragen haben mag. Die Partei hat sich uns als Sammelbecken dargestellt, in dem sich viele tummeln, manche umherirren, die irgendwie rechts aus dem System herausgefallen sind, Konservative und Libertäre in einem Prozess der Selbstghettoisierung, bisweilen seltsame Querköpfe, die immer und überall dissident sind und natürlich radikale Opportunisten, politische Amateure mit Appetit auf Geld und Posten, Zyniker, bei denen man unsicher sein kann, ob sie überhaupt Überzeugungen haben. Oft wollen diese verschiedenen Kräfte unterschiedliche, sehr widersprüchliche Dinge. Die Gegenüberstellung Gemäßigte – Radikale war dabei immer schon zu einfach, vielmehr haben unterschiedliche Subgruppen unterschiedliche Radikalismen hervorgebracht. Und wie moderat kann man in der heutigen AfD noch sein? Die Xenophobie durchzieht die Gesamtpartei. Natürlich gibt es jene, die in einem bürgerlicheren Auftreten einfach nur ihre Masche gefunden haben, sich nützlich zu machen, sich nach innen und außen zu verkaufen. Dennoch waren die Flügelkämpfe echt und keineswegs nur eine abgesprochene Strategie der Außendarstellung.
Die Partei ist trotz ihrer inneren Zerrissenheit eine Art Parallelwelt. Und für die Leute, die da drin sind, verschieben sich nach und nach Horizonte und Werte. Unter der Ägide einer Art selbst verhängten Kriegsrechtes gegen alle Anderen. Man trifft sogar Leute, die sich dezidiert als Gegenkräfte gegen die Radikalen verstehen und sich für einsame Helden der Demokratie halten, weil sie gerade an dieser unbequemen Stelle darum kämpfen, dass der Laden nicht komplett kippt. Von außen betrachtet scheint diese Position gelinde gesagt widersprüchlich, da frage ich mich dann: „Okay, wie viel Selbsttäuschung und wieviel Täuschung ist dabei? Wahrscheinlich spielen persönliche Zwänge eine Rolle: wer sich einmal zur AfD bekannt hat, ist für die Außenwelt verbrannt, da MUSS dieser Schritt rückwirkend einfach Sinn gemacht haben, egal wie groß die Zweifel sind. Dann blendet man aus und deutet um. Und je isolierter jemand außerhalb der Partei ist, je länger man sich in dieser Echokammer aufhält, desto mehr wird man dazu neigen, die Denkmuster zu akquirieren, um wenigstens dort akzeptiert zu sein. Die meisten Menschen sind ideologisch beweglicher als sie glauben. So kommt es nach einem AfD-Eintritt zu einer schleichenden Radikalisierung. Daran wirkt das populistische Denken der Partei mit, sich selbst für Vertreter des wahren, unterdrückten Volkswillens zu halten und Kritik von Außen nur als feindlichen Angriff oder Ausdruck von Verblendung zu verstehen. Die Strategien der gesellschaftlichen Ausgrenzung der AfD, über die ja zunächst durchaus kontrovers diskutiert wurde, scheinen jedenfalls funktioniert zu haben, wenn man sich die häufig verzweifelten wirkenden Menschen im Film vor Augen führt.
Jedenfalls gehört zum Nachdenken über die AfD, sich die Frage zu stellen: Warum ist diese Partei attraktiv geworden für Leute, die man sich auch anderswo hätte vorstellen können? Da kann man dann über Verschiebungen im Parteienspektrum, Repräsentationslücken und die Ursachen von Politikverdrossenheit nachdenken. Über zu viele große Koalitionen. Darüber, wie die Gesellschaft mit den Verlierern progressiver Entwicklung umgeht. Das ändert aber alles nichts an der politischen Verantwortung dafür, in welche Partei man eintritt bzw. welche man wählt.
Nachdem Sie ihren Film beendet haben. Wie ist denn Ihre persönliche Position heute zur AfD?
Die AfD ist eine Rechtsaußenpartei, die in mehreren Schritten immer weiter mit dem liberal-demokratischen Konsens unserer Gesellschaft gebrochen hat. Das ist brandgefährlich. Die AfD schürt Ängste vor Systemversagen und steigert sich selbst in solche hinein, ihre Sehnsucht nach Wiederherstellung einer alten Ordnung ist unrealistisch, die nach ethno-nationaler Schließung ist brutal. Sie verbreitet rassistische Bilder, völkisch-faschistoide Ideen, mit ihrer Abwertung der anderen Parteien als „Kartell“ negiert sie den Meinungspluralismus im Parlament, mit den pauschalen „Lügenpresse“-Rufen den Wert der sachlichen, faktengestützten Debatte. Vieles dort scheint fast schon bestürzend regressiv. Menschen dort zu erleben, die eigentlich besser wissen könnten, erschreckt und gibt Rätsel auf.
Wenn wir danach fragen, woher die rechtspopulistische Mobilisierbarkeit rührt, werden wir auch auf politische Ursachen und konkrete Interessenlagen stoßen und auch, aber eben nicht ausschließlich auf kulturelle, moralische, psychologische Faktoren. Die Partei ist ebenso Symptom wie Ursache von Problemlagen. Ich glaube, dass sie nach wie vor auch Protestpartei ist, die entlang der Bruchlinien und Krisenerfahrungen der Globalisierung entstanden ist. Solange sie gewählt wird und nicht verboten ist, muss man sich parlamentarisch mit ihr befassen, sich klar abgrenzen aber auch den Streit suchen und aushalten, genau hinschauen. Die Möglichkeiten der wehrhaften Demokratie und des Strafrechts müssen ebenso ausgeschöpft werden.
Analytisch ist es wichtig, differenziert über die AfD und ihre Geschichte nachzudenken, normativ hingegen ist die Sache klar: die AfD ist keine Option, schon gar nicht für ultrakonservative oder nationalliberal denkende Menschen, die ihre politischen Positionen im Rahmen einer demokratischen Debatte zur Wirkung bringen wollen. Die AfD ist eine Sackgasse, denn in ihr gibt es nach Rechtsaußen kein Halten. Selbstkritik wird abgestraft und Radikalität belohnt. Dabei spielen die gesellschaftliche Isolation der Partei und die Reaktionen der Außenwelt verstärkend mit, sind aber zugleich unvermeidbar. Kanäle des Dialogs aufrecht zu erhalten, ist nie verkehrt, wo wirklich Dialog gewollt ist: Menschen können sich radikalisieren, aber auch deradikalisieren. Einen Tag nach unserem Kinostart am 16.06.22 könnte es sein, dass Björn Höcke auf dem AfD-Parteitag persönlich nach der Macht im Bundesverband greifen wird. Damit wäre die Entwicklung der Partei zu einer klassisch extremistischen Organisation symbolisch abgeschlossen.
Tatsächlich wollte ich einen Dokumentarfilm drehen, der mehr ein Film über seinen Gegenstand, die AfD, ist als über meine Meinung zu diesem Gegenstand. Dieses Vorhaben musste in gewisser Weise scheitern, hat dem Film aber trotzdem, wie ich hoffe, ein interessantes Gepräge gegeben. Ich wollte denen etwas geben, die sich damit auseinandersetzen wollen: Wie kommt’s? Und wie läuft es genau ab? Wie ist es in sich selbst?
Das Interview wurde durchgeführt von Susanne Bauer.