Der Niederländer Rem Koolhaas ist einer der einflussreichsten zeitgenössischen Architekten. Er forscht und lehrt als Professor an der Harvard-Universität. Koolhaas war Juror des Potsdamer-Platz-Wettbewerbs – und verließ die Jury 1991 unter Protest, weil er deren Entscheidungen für ein „bewusstes Massaker an architektonischer Intelligenz“ hielt. Durch die Pläne des Senats würde ein „kleinbürgerliches, altmodisches, reaktionäres, banales und vor allem dilettantisches Bild der Stadt“ entstehen.
Koolhaas kritisierte, dass man versuchte, für Berlin ein künstliches Zentrum zu schaffen – in einer Weise, die nichts mehr offen lässt, keine Entwicklung ermöglicht, versucht, einen Endpunkt zu setzen.
Er nennt dies das Berliner Dogma, das geschlossene Baublöcke, will und dem es unbedingt um eine Vollendung geht.
Eine bekannte und oft zitierte Aussage von Rem Koolhaas lautet „fuck context“ – „scheiß auf den Zusammenhang“. Sprich: Wenn Häuser in einem Gebiet bisher eine bestimmte Höhe haben, ist das kein Grund, dass man in dieser Höhe weiterbaut. Stattdessen sollte man sich als Architekt und Stadtplaner daran orientieren, was den Menschen am meisten dient und der Bevölkerung Wohlbefinden und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Koolhaas revidiert seine Aussage allerdings: In einer historischen Stadt wie Berlin müsse man durchaus auf den Kontext achten.
Hubertus Siegert traf sich mit Rem Koolhaas zum Interview am 16. März 1999 im Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Rotterdam.
HS:
Wie haben Sie Berlin erlebt, den Potsdamer Platz, den Bezirk Mitte und die Mauertrasse?
RK:
Kurz nach dem Mauerabriss wurde schon deutlich, daß nicht das bestehende Berlin als Ausgangspunkt der Diskussion genommen wurde, sondern das alles nur zum Vorwand für die Ausradierung der Mauertrassen genommen wurde – und damit der Geschichte der Mauer und der Geschichte Berlins. Ich war eigentlich entsetzt, daß diese Qualität der Stadt ganz unverschämt vernichtet wurde.
HS:
Seit Beginn der 1990er wird versucht, in Berlin alles möglichst rasch wieder voll zu bauen, schnell alle Lücken zu schließen. Ist diese Eile Ausdruck einer Angst vor der leeren Stadt?
RK:
Wenn man weltweit den Prozeß des Städtebaus beobachtet, in Asien oder Afrika oder auch hier in Europa, stellt man fest, daß es nirgendwo eine homogene Situation gibt, also mit einem Stadtzentrum und einer Peripherie drumherum. Stattdessen entsteht eine Mischung von Dichte und Leere – und die moderne Stadt ist ein Feld dieser Abwechslung. Das Schöne an Berlin war, daß es in den 1960er und 1970er Jahren schon ein Prototyp dieser Stadt der Zukunft war. Ich finde es schade, daß Berlin diese Rolle, die es hätte spielen können, nicht aufgenommen hat. Vielleicht kennen Sie das Projekt, das ich als Mitarbeiter von Ungers gemacht habe:
Berlin, das grüne Archipel. Das ist ein Projekt, das Ungers etwa 1977 vorgestellt hat, in dem er Berlin, so wie es war, als Modell für die Stadt der Zukunft genommen hat, in der die Abwechslung von Konzentration und Leere systematisiert war und alle Unterteile der Stadt wie Inseln interpretiert wurden, die in einem Meer von Leere schweben. Berlin hatte diese Qualität. Das wurde nicht ausgespielt.
Mit dem Manifest “Die Stadt in der Stadt – Berlin: ein grünes Archipel” legten Oswald Mathias Ungers und seine Kollegen – u.a. Rem Koolhaas – 1977 die ersten Konzepte und Denkmodelle zur schrumpfenden Stadt vor. Sie entwickelten die Figur einer polyzentrischen Stadtlandschaft. Koolhaas ging es um eine radikal neue Beziehung von Architektur und Gesellschaft.
Diese Vision wird zu den großen Stadtentwürfen der jüngeren Architekturgeschichte gezählt.
HS:
Anfang der 1990er Jahre standen Sie anläßlich der Wettbewerbe zum Potsdamer Platz in starken Konflikten mit dem damaligen Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Fühlen Sie sich durch die Geschichte der letzten Jahre des Bauens in Berlin eher bestätigt oder widerlegt?
RK:
Ich war damals eben anderer Meinung, aber ich war auch beeindruckt von dieser unglaublichen Kraft und Anstrengung, die sie unternommen haben, um ihr Vorhaben umzusetzen. Ich habe die Entwicklungen aus der ferne verfolgt – nicht in der Hoffnung, dass sie scheitern würden. Sondern einfach mit Interesse. Einiges, was geplant war, hat sich dann ja doch noch geändert. Zum Beispiel das Sony-Center: Es ist zwar eigentlich beendet – aber wenn man es genau betrachtet, ist es ein provisorisches Ende und gleichzeitig der Beginn von etwas Neuem.Das Sony-Center an sich ist ein vorläufiges Ende und unweigerlich der Beginn von etwas Neuem.
Und ich denke, dass die architektonische Auseinandersetzung mit dem Nachwende-Berlin eine sehr wichtige Episode war. Manches ist geglückt, anderes ist gescheitert.
HS:
In Berlin sind die Übergangsformen der Baustellen, Baugruben und Rohbauten oft anregender und hoffnungsvoller als die Bauten, die bereits fertiggestellt sind. Als wären die Baustellen Utopiespeicher, die sich leeren, je mehr sie der Vollendung entgegen gehen. Ist das im Rest der Welt auch zu beobachten?
RK:
Ich glaube, daß alles, was in Prozeß und Werden ist, etwas Inspirierendes und Optimistisches hat. Das ist überall so. Es ist das Peinliche dieser Art bürgerlicher und finaler Architektur, von der es nun in Berlin viel gibt, ist, daß das so ungeheuer deutlich als Endpunkt ausgegeben wird.
In OMA-Projekten versuchen wir Endpunkte zu vermeiden oder sie zu brechen, so dass etwas Offenes bleibt.
HS:
Welches Bedürfnis ist bei Ihnen stärker: zu bauen oder zu verstehen?
RK: Ich glaube, es ist wirklich das Verstehen. Bauen ist für mich auch eine Form von Verstehen.
OMA (Office for Metropolitan Architecture) ist das in Rotterdam ansässige Architekturbüro des niederländischen Architekten und Pritzker-Preisträgers Rem Koolhaas. das Office for Metropolitan Architecture betreibt weitere Architekturbüros in Hong Kong, New York, Beijing, Doha, Dubai und Sydney. OMA-Bauten gehören zu den wichtigsten Beispielen avantgardistischer zeitgenössischer Architektur.
Der Niederländer Rem Koolhaas ist einer der einflussreichsten zeitgenössischen Architekten. Er forscht und lehrt als Professor an der Harvard-Universität. Koolhaas war Juror des Potsdamer-Platz-Wettbewerbs – und verließ die Jury 1991 unter Protest, weil er deren Entscheidungen für ein „bewusstes Massaker an architektonischer Intelligenz“ hielt. Durch die Pläne des Senats würde ein „kleinbürgerliches, altmodisches, reaktionäres, banales und vor allem dilettantisches Bild der Stadt“ entstehen.
Koolhaas kritisierte, dass man versuchte, für Berlin ein künstliches Zentrum zu schaffen – in einer Weise, die nichts mehr offen lässt, keine Entwicklung ermöglicht, versucht, einen Endpunkt zu setzen.
Er nennt dies das Berliner Dogma, das geschlossene Baublöcke, will und dem es unbedingt um eine Vollendung geht.
Eine bekannte und oft zitierte Aussage von Rem Koolhaas lautet „fuck context“ – „scheiß auf den Zusammenhang“. Sprich: Wenn Häuser in einem Gebiet bisher eine bestimmte Höhe haben, ist das kein Grund, dass man in dieser Höhe weiterbaut. Stattdessen sollte man sich als Architekt und Stadtplaner daran orientieren, was den Menschen am meisten dient und der Bevölkerung Wohlbefinden und Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Koolhaas revidiert seine Aussage allerdings: In einer historischen Stadt wie Berlin müsse man durchaus auf den Kontext achten.
Hubertus Siegert traf sich mit Rem Koolhaas zum Interview am 16. März 1999 im Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Rotterdam.
HS:
Wie haben Sie Berlin erlebt, den Potsdamer Platz, den Bezirk Mitte und die Mauertrasse?
RK:
Kurz nach dem Mauerabriss wurde schon deutlich, daß nicht das bestehende Berlin als Ausgangspunkt der Diskussion genommen wurde, sondern das alles nur zum Vorwand für die Ausradierung der Mauertrassen genommen wurde – und damit der Geschichte der Mauer und der Geschichte Berlins. Ich war eigentlich entsetzt, daß diese Qualität der Stadt ganz unverschämt vernichtet wurde.
HS:
Seit Beginn der 1990er wird versucht, in Berlin alles möglichst rasch wieder voll zu bauen, schnell alle Lücken zu schließen. Ist diese Eile Ausdruck einer Angst vor der leeren Stadt?
RK:
Wenn man weltweit den Prozeß des Städtebaus beobachtet, in Asien oder Afrika oder auch hier in Europa, stellt man fest, daß es nirgendwo eine homogene Situation gibt, also mit einem Stadtzentrum und einer Peripherie drumherum. Stattdessen entsteht eine Mischung von Dichte und Leere – und die moderne Stadt ist ein Feld dieser Abwechslung. Das Schöne an Berlin war, daß es in den 1960er und 1970er Jahren schon ein Prototyp dieser Stadt der Zukunft war. Ich finde es schade, daß Berlin diese Rolle, die es hätte spielen können, nicht aufgenommen hat. Vielleicht kennen Sie das Projekt, das ich als Mitarbeiter von Ungers gemacht habe:
Berlin, das grüne Archipel. Das ist ein Projekt, das Ungers etwa 1977 vorgestellt hat, in dem er Berlin, so wie es war, als Modell für die Stadt der Zukunft genommen hat, in der die Abwechslung von Konzentration und Leere systematisiert war und alle Unterteile der Stadt wie Inseln interpretiert wurden, die in einem Meer von Leere schweben. Berlin hatte diese Qualität. Das wurde nicht ausgespielt.
Mit dem Manifest “Die Stadt in der Stadt – Berlin: ein grünes Archipel” legten Oswald Mathias Ungers und seine Kollegen – u.a. Rem Koolhaas – 1977 die ersten Konzepte und Denkmodelle zur schrumpfenden Stadt vor. Sie entwickelten die Figur einer polyzentrischen Stadtlandschaft. Koolhaas ging es um eine radikal neue Beziehung von Architektur und Gesellschaft.
Diese Vision wird zu den großen Stadtentwürfen der jüngeren Architekturgeschichte gezählt.
HS:
Anfang der 1990er Jahre standen Sie anläßlich der Wettbewerbe zum Potsdamer Platz in starken Konflikten mit dem damaligen Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Fühlen Sie sich durch die Geschichte der letzten Jahre des Bauens in Berlin eher bestätigt oder widerlegt?
RK:
Ich war damals eben anderer Meinung, aber ich war auch beeindruckt von dieser unglaublichen Kraft und Anstrengung, die sie unternommen haben, um ihr Vorhaben umzusetzen. Ich habe die Entwicklungen aus der ferne verfolgt – nicht in der Hoffnung, dass sie scheitern würden. Sondern einfach mit Interesse. Einiges, was geplant war, hat sich dann ja doch noch geändert. Zum Beispiel das Sony-Center: Es ist zwar eigentlich beendet – aber wenn man es genau betrachtet, ist es ein provisorisches Ende und gleichzeitig der Beginn von etwas Neuem.Das Sony-Center an sich ist ein vorläufiges Ende und unweigerlich der Beginn von etwas Neuem.
Und ich denke, dass die architektonische Auseinandersetzung mit dem Nachwende-Berlin eine sehr wichtige Episode war. Manches ist geglückt, anderes ist gescheitert.
HS:
In Berlin sind die Übergangsformen der Baustellen, Baugruben und Rohbauten oft anregender und hoffnungsvoller als die Bauten, die bereits fertiggestellt sind. Als wären die Baustellen Utopiespeicher, die sich leeren, je mehr sie der Vollendung entgegen gehen. Ist das im Rest der Welt auch zu beobachten?
RK:
Ich glaube, daß alles, was in Prozeß und Werden ist, etwas Inspirierendes und Optimistisches hat. Das ist überall so. Es ist das Peinliche dieser Art bürgerlicher und finaler Architektur, von der es nun in Berlin viel gibt, ist, daß das so ungeheuer deutlich als Endpunkt ausgegeben wird.
In OMA-Projekten versuchen wir Endpunkte zu vermeiden oder sie zu brechen, so dass etwas Offenes bleibt.
HS:
Welches Bedürfnis ist bei Ihnen stärker: zu bauen oder zu verstehen?
RK: Ich glaube, es ist wirklich das Verstehen. Bauen ist für mich auch eine Form von Verstehen.
OMA (Office for Metropolitan Architecture) ist das in Rotterdam ansässige Architekturbüro des niederländischen Architekten und Pritzker-Preisträgers Rem Koolhaas. das Office for Metropolitan Architecture betreibt weitere Architekturbüros in Hong Kong, New York, Beijing, Doha, Dubai und Sydney. OMA-Bauten gehören zu den wichtigsten Beispielen avantgardistischer zeitgenössischer Architektur.
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