Die Kinotour unseres Dokumentarfilms A GERMAN PARTY, die von 2023 bis Anfang 2025 lief, war für mich eine intensive und prägende Zeit. Zwar hatte der Film von Beginn an eine kleine, treue Fangemeinde – doch nach dem gelungenen Festivalstart (Berlinale 2022, Nyon u.a.) gestaltete sich die Kinoauswertung zunächst schwierig. Die Corona-Krise wirkte im Lichtspielgeschäft nach, die AfD schien zeitweise an Einfluss zu verlieren, und Russlands Krieg in der Ukraine verdrängte andere Themen. Viele Kinos zögerten, den Film ins Programm zu nehmen – aus Angst vor dem wenig erbaulichen Sujet, vor möglichen Störungen durch radikale AfD-Anhänger oder aus Sorge, das beobachtende Konzept könne als Mangel an Haltung ausgelegt werden.
Gerade im Arthouse-Bereich wurde A GERMAN PARTY anfangs vor allem unter dem Aspekt diskutiert, ob es legitim sei, die AfD nicht ausschließlich als rechtsextreme Kadergruppe zu porträtieren. Ob es also in Ordnung sei, die ganze verstörende Bandbreite zu zeigen, die die damals chaotische Organisation tatsächlich ausmachte: das Gefährliche und Extreme ebenso wie das Banale, Trashige, Irrlichternde, Tragische, das Legitime, Widersprüchliche, Menschliche – oder schlicht Geschmacklose. All das steckte da drin, aber nicht alles davon war gleich wichtig, oder doch?
Mein Blick in die Grauzonen und Widersprüche des gelebten Parteilebens wurde von Filmkritikern wahlweise als politische Provokation, fahrlässige Banalisierung des Bösen oder als beispielhaftes dokumentarisches Erzählen interpretiert. Die Meinungen gingen weit auseinander, und ich als Hauptverantwortlicher stand mittendrin – im Zangengriff all jener bekannten und unbekannten Dilemmata im Umgang mit dem Rechtspopulismus. Irgendwann spürte ich diesen Druck fast körperlich – und floh für drei Wochen in die Abgeschiedenheit zu guten Freunden in einer anderen Stadt.
Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – begann sich der Film allmählich herumzusprechen. Dazu beigetragen hat auch die ungewöhnliche Entscheidung des Senders 3sat, A GERMAN PARTY zur Prime Time um 20:15 Uhr auszustrahlen – mit beachtlicher Quote übrigens. Auch die bundesweiten Dokumentarfilmtage LETsDOK programmierten uns drei Jahre in Folge in verschiedenen Städten; in Saarbrücken stellten wir dabei sogar einen Zuschauerrekord auf. Nach und nach meldeten sich immer mehr Bildungsträger, lokale Kinos und zivilgesellschaftliche Gruppen, die den Film zeigen und diskutieren wollten.
Besonders hervorheben möchte ich das Engagement von Jörg Witte von den SchulKinoWochen Niedersachsen sowie Sebastian Ramnitz vom Verein Contra Rassismus. Sie gingen mutig voran, als andere noch zögerten – und eröffneten Zugänge zu Arbeiter:innen, Schüler:innen, Menschen aus Nachbarschaften, die seltener im dokumentarischen Kino anzutreffen sind. Schnell zeigte sich: Der differenzierte Ansatz des Films führte nicht dazu, dass die Gefahren der AfD unterschätzt wurden – im Gegenteil, das Thema rückte emotional und gedanklich näher an die Leute heran. Die Sorge vor möglichen Störungen durch Parteianhänger erwies sich als unbegründet. Fast alle Diskussionen verliefen lebhaft, intensiv und zivilisiert. Nur ein einziges Mal organisierte eine lokale AfD-Gruppe einen Proteststand vor dem Kino gegen den angeblich „tendenziösen Verunglimpfungsfilm“ – vermutlich, ohne ihn gesehen zu haben.
Die meisten Zuschauer blieben nach dem fast zweistündigen Kinoerlebnis mindestens noch eine Stunde zur Diskussion, oft deutlich länger. Endlich geschah, was ich mir immer gewünscht hatte: Die Gespräche verlagerten sich vom Film weg auf das eigentliche Thema. Im Zentrum stand die Frage: Was bedeutet diese Partei – mir persönlich? Welche neuen Fragen wirft sie auf? Bald empfahl uns Vision Kino – insbesondere dank Leopold Grün und Peter Schütz – bundesweit an Schulen.
Anfang 2024 folgte die Correctiv-Recherche zu den „Remigrations“-Plänen auf dem Potsdamer „Geheimtreffen“. Überall gründeten sich zivilgesellschaftliche Initiativen gegen den Rechtsruck – und viele entwickelten auch das Bedürfnis, tiefer über die AfD nachzudenken. In diesem Moment kam unserem Film das entgegen, was TV-Redaktionen eigentlich fürchten: Er drohte zu veralten – durch die immer neuen Höhenflüge der Partei und den endgültigen Sieg des völkischen Höcke-Flügels. Die zerstrittene AfD auf der Leinwand wirkte nun beinah wie ein Relikt aus einer fast schon zurückwünschenswerten Zeit. Da wirkte es erträglicher, dass der Film ein gefährliches Phänomen ohne erhobenen Zeigefinger beschrieb.
Es folgte eine überraschend lange, vielfältige zweite Tour: A GERMAN PARTY wurde vor der Europawahl über mehrere Monate wöchentlich in verschiedenen Tagungshäusern der Industriegewerkschaft (IG-BCE) gezeigt. Bei der Stiftung „Kultur und politisches Bewusstsein“ in Butzbach liefen wir ebenso wie in einem Foodsharing-Café in Stuttgart, am Institut für Sozialforschung in Frankfurt ebenso wie in Multiplexkinos in Klein- und Großstädten. Ich war zu Gast an Gymnasien in Thüringen, an Berufsschulen in Niedersachsen, in Kulturscheunen, auf internationalen Konferenzen, bei SPD-Juso-Abenden, auf Podien mit Extremismusforschern, Politolog:innen, Parlamentarier:innen – und natürlich mit Teamkollegen wie Sebastian Winkels. Manchmal kamen 300 Menschen, manchmal 150, gelegentlich nur fünf – aber fast immer entstand daraus ein Gespräch.
Meine Methode war einfach: Ohne weiter etwas vorzugeben, fragte ich die Zuschauer:innen nach ihren persönlichen Gefühlen und Gedanken beim Anschauen. Wenn eine Szene zu umstandslos als Beleg für Rechtsextremismus gedeutet wurde, zeigte ich alternative Sichtweisen auf – nicht, um zu relativieren, sondern um Differenz und Nachdenklichkeit zu ermöglichen, dazu aufzufordern, genau hinzusehen und die eigenen Argumente zu prüfen. Erst dadurch trauten sich auch vereinzelt erscheinende Sympathisant:innen der AfD oder Menschen mit Verständnis für bestimmte Positionen aus der Deckung. Sie ließen sich gut moderieren – und dominierten nie.
Ich erinnere mich an mehrere Schulvorführungen, in denen Lehrkräfte erstaunt feststellten, wie viele Schüler TikTok-Accounts wie den von Maximilian Krah abonniert hatten – und gleichzeitig erleichtert waren, dass die allermeisten jungen Leute benennen konnten, was ihnen am Gezeigten falsch und verwerflich erschien. Die befürchtete Enttabuisierung blieb aus, weil das Tabu, wie sich zeigte, ohnehin nie so effektiv gewesen war. Viele Jugendliche freuten sich vielmehr darüber, etwas zu sehen, das Pädagogen für schädlich hielten – und sich selbst eine Meinung dazu bilden zu dürfen. Lehrer:innen berichteten mir hinterher, wie verblüfft sie waren, dass ihre Schützlinge es überhaupt hinbekommen hatten, zwei Stunden konzentriert zu folgen – ohne alle paar Minuten auf ihr Handy zu blicken.
In dem bekannten Jugendclub „CD-Kaserne“ in Celle kam es zu einer erstaunlichen Szene. Nach der Vorführung entspann sich unter den 120 Leuten im Alter von 16 bis 22 Jahren ganz von selbst eine kontroverse Debatte, ohne irgendeine Moderation. Erst nach zwanzig Minuten erinnerte Sebastian Ramnitz das Publikum daran, dass auch der Filmemacher anwesend sei, und schlug vor, mal eine Frage an mich zu stellen.
Im Kopf geblieben ist mir auch eine Veranstaltung der IG-BCE, in der sich so etwas wie ein kleiner Eine-deutsche-Partei-Fanclub gebildet hatte. Ein Zuschauer berichtete, er habe den Film nun schon zum dritten Mal gesehen. Durch die Corona-Berichterstattung habe er eigentlich das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verloren. Deshalb sei er unserer staatlich geförderten Doku zunächst skeptisch begegnet – „bestimmt wieder nur betreutes Denken“, habe er vermutet. Erst nach dem ersten Ansehen habe er verstanden, dass der Film ihm tatsächlich zutraute, sich eine eigene Meinung zu bilden. Er habe ihn dann zuhause noch einmal allein angesehen – und an jenem Abend in der Gewerkschaft zum dritten Mal. Erst dann meldete er sich auch in der Diskussion zu Wort. Sein Fazit: „Die sind Murks.“
Ein weiteres Mitglied äußerte, A GERMAN PARTY habe sie hoffen lassen, dass es unter den AfD-Wählern vielleicht doch noch Menschen gebe, mit denen man reden könne. Sie engagiere sich seit Jahren gegen rechts und war beeindruckt, dass der Film „nicht verachtet“, sondern den Protagonisten ihre Würde lasse – etwas, das viele Rechte anderen verweigerten.
Ein dritter Zuschauer berichtete, der Film habe ihn so sehr in seinen Bann gezogen, dass er beim Ansehen das Gefühl hatte, er drehe ihn selbst – mit einer Mischung aus Faszination und Abgestoßensein. Ein subtiler Horror habe ihn erfasst, der über den Filmverlauf immer mehr zugenommen habe, nachdem der Filmanfang ihn zunächst wegen der Alltäglichkeit des Gezeigten irritierte.
Hinter dem positiven Feedback steckt, glaube ich, ein Element von „Empowerment“, das ein beobachtender Dokumentarfilm erzeugen kann. Gerade weil A GERMAN PARTY keine fertige Deutung vorgab, forderte er vom Publikum eine eigene Anstrengung beim Verstehen und Interpretieren – und traute den Menschen dies auch zu. Das bedeutete „Arbeit“, wurde aber oft als „befreiend“ beschrieben. Aus einem gewissen Maß an Überforderung entstand eine produktive, erkenntnisfördernde Unruhe. Für sensible Menschen oder solche, die sich als Zielgruppe rechter Feindbilder fühlen mussten, stellte das unmittelbare Versetztwerden in den Kommunikationsraum der Partei eine Zumutung dar, war oft „schwer auszuhalten“ – dennoch äußerten auch sie ihre Wertschätzung für diese Form der Darstellung.
Verantwortliche von Institutionen bemerkten manchmal nach Veranstaltungen, meine Anwesenheit habe wesentlich zum Gelingen des Films beigetragen – ein zweischneidiges Kompliment, das indirekt zum Ausdruck brachte, es handele sich um ein Werk, das man besser nicht „unbeaufsichtigt“ gucken solle. Was, wenn jemand beim Anschauen das „Falsche“ dachte? Ein solches Misstrauen gegenüber dem Publikum halte ich nicht bloß taktisch für einen Bumerang – mit Blick auf alles, was ich bisher über die Psychologie potenzieller AfD-Wähler:innen gelernt habe –, sondern auch für unbegründet. Natürlich konnten meine Co-Moderator:innen, eingeladene Expert:innen und ich Fragen beantworten, die Bereitschaft zur Diskussion abrufen und fördern. Doch relevante Auseinandersetzungen entstanden ebenso im Stillen und in privaten Gesprächen – in Cafés und Wohnzimmern, lange nach dem Abspann. Immer wieder erreichten mich Zuschriften wie: „Ich und meine Freundin haben nach dem Kino noch bis zum Morgengrauen darüber gesprochen und gestritten.“
Die Liste an Fragen, die in den Filmgesprächen diskutiert wurden, ist lang. Welche Rolle spielen Abstiegsängste, Entwertungserfahrungen, autoritäre deutsche Traditionen, politische Repräsentationslücken, Globalisierung, das Verhältnis zwischen Ost und West, der Medienwandel? Während es bei den Gewerkschaften auch um spezifische Gründe für den hohen AfD-Wähleranteil in der Industriearbeiterschaft ging (Stichwort: Energiewende) und um den praktischen Umgang mit populistisch orientierten Mitgliedern, sprachen wir in den Schulen über die Anziehungskraft radikaler rechter Subkulturen und Online-Communities, über (toxische) Männlichkeit und natürlich Migration und Rassismus.
Als Teil einer akademischen Arbeitsgruppe zum Thema Den Feind filmen?, initiiert von der Kulturanthropologin Christine Moderbacher, hatte ich Gelegenheit, die dokumentarfilmtheoretischen Aspekte meiner Arbeit zu reflektieren. Gemeinsam veröffentlichten wir ein Roundtable-Gespräch in der Zeitschrift Montage AV und stellten unsere Thesen auf einem Panel der Visible Evidence Conference im italienischen Udine vor.
Natürlich wurde über A GERMAN PARTY auch gestritten. In einem Kulturzentrum mit linker, antifaschistischer Tradition etwa zeigte sich ein Drittel der Zuschauer:innen – eher die älteren Semester – empört über die vermeintliche Milde des Films. Ihnen fehlten die investigativen Erklärungen zu Netzwerken und Geldflüssen im Hintergrund. Ein anderes Drittel – eher die Jüngeren – hielt dagegen: Man sähe oft genug nur „Propaganda für die richtige Sache“. Eine kleine Gruppe verließ daraufhin sogar den Saal und knallte die Tür. Die Veranstalterin war trotzdem zufrieden – und ich auch. Das Thema ist komplex, und unsere Verantwortung groß – da sollen Kontroversen nicht ausbleiben.
Eine ähnlich aufgeladene, aber anders gelagerte Situation ergab sich in einem Berliner Stadtteilzentrum – wenige Wochen vor der letzten Bundestagswahl. 150 Leute kamen: Mitglieder der Kirchengemeinde, Corona-Skeptiker, AfD-Wähler:innen, Anhänger:innen von SPD und Grünen, viele Jugendliche mit Migrationsgeschichte. Die Stimmung war angespannt, es wurde emotional, aber es blieb ein Austausch. Ein Jugendlicher berichtete von persönlichen Diskriminierungserfahrungen und davon, wie sehr ihm der Aufstieg der Rechten Angst mache. Auf dem Podium saß neben mir der Extremismusforscher Hendrik Hansen. Wir sprachen über die manchmal feinen, aber wichtigen Unterschiede zwischen „rechts“, „rechtspopulistisch“ und „rechtsextrem“. Wir mussten auch einiges einstecken: Einer warf uns vor, für den Verfassungsschutz zu arbeiten, ein anderer wurde wütend, als wir uns skeptisch zu einem Parteiverbot äußerten.
Der Abend endete nur deshalb, weil der Veranstalter nach Hause musste. Viele trugen sich in spontane Kontaktlisten ein – sie wollten weiterreden. Wenige Tage später schrieb einer von ihnen Prof. Hansen eine E-Mail: Ob er 30 Minuten seiner Zeit bekommen könne. Er wolle ruhig zuhören und verstehen, warum er die AfD nicht wählen solle. Hansen sagte zu.
Für eine ganze Weile war die Tour mit A GERMAN PARTY meine Hauptbeschäftigung. Sie führte mich zu weit über hundert Veranstaltungen – vor tausende Menschen, die miteinander über die zentralen Herausforderungen unserer Demokratie diskutierten. Oft über den Kinosaal hinaus.
Ich möchte allen danken, die das möglich gemacht und mich auf diesem Weg begleitet haben.
Simon Brückner, Mai 2025
Die Kinotour unseres Dokumentarfilms Eine deutsche Partei, die von 2023 bis Anfang 2025 lief, war für mich eine intensive und prägende Zeit. Zwar hatte der Film von Beginn an eine kleine, treue Fangemeinde – doch nach dem gelungenen Festivalstart (Berlinale 2022, Nyon u.a.) gestaltete sich die Kinoauswertung zunächst schwierig. Die Corona-Krise wirkte im Lichtspielgeschäft nach, die AfD schien zeitweise an Einfluss zu verlieren, und Russlands Krieg in der Ukraine verdrängte andere Themen. Viele Kinos zögerten, den Film ins Programm zu nehmen – aus Angst vor dem wenig erbaulichen Sujet, vor möglichen Störungen durch radikale AfD-Anhänger oder aus Sorge, das beobachtende Konzept könne als Mangel an Haltung ausgelegt werden.
Gerade im Arthouse-Bereich wurde Eine deutsche Partei anfangs vor allem unter dem Aspekt diskutiert, ob es legitim sei, die AfD nicht ausschließlich als rechtsextreme Kadergruppe zu porträtieren. Ob es also in Ordnung sei, die ganze verstörende Bandbreite zu zeigen, die die damals chaotische Organisation tatsächlich ausmachte: das Gefährliche und Extreme ebenso wie das Banale, Trashige, Irrlichternde, Tragische, das Legitime, Widersprüchliche, Menschliche – oder schlicht Geschmacklose. All das steckte da drin, aber nicht alles davon war gleich wichtig, oder doch?
Mein Blick in die Grauzonen und Widersprüche des gelebten Parteilebens wurde von Filmkritikern wahlweise als politische Provokation, fahrlässige Banalisierung des Bösen oder als beispielhaftes dokumentarisches Erzählen interpretiert. Die Meinungen gingen weit auseinander, und ich als Hauptverantwortlicher stand mittendrin – im Zangengriff all jener bekannten und unbekannten Dilemmata im Umgang mit dem Rechtspopulismus. Irgendwann spürte ich diesen Druck fast körperlich – und floh für drei Wochen in die Abgeschiedenheit zu guten Freunden in einer anderen Stadt.
Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – begann sich der Film allmählich herumzusprechen. Dazu beigetragen hat auch die ungewöhnliche Entscheidung des Senders 3sat, Eine deutsche Partei zur Prime Time um 20:15 Uhr auszustrahlen – mit beachtlicher Quote übrigens. Auch die bundesweiten Dokumentarfilmtage LETsDOK programmierten uns drei Jahre in Folge in verschiedenen Städten; in Saarbrücken stellten wir dabei sogar einen Zuschauerrekord auf. Nach und nach meldeten sich immer mehr Bildungsträger, lokale Kinos und zivilgesellschaftliche Gruppen, die den Film zeigen und diskutieren wollten.
Besonders hervorheben möchte ich das Engagement von Jörg Witte von den SchulKinoWochen Niedersachsen sowie Sebastian Ramnitz vom Verein Contra Rassismus. Sie gingen mutig voran, als andere noch zögerten – und eröffneten Zugänge zu Arbeiter:innen, Schüler:innen, Menschen aus Nachbarschaften, die seltener im dokumentarischen Kino anzutreffen sind. Schnell zeigte sich: Der differenzierte Ansatz des Films führte nicht dazu, dass die Gefahren der AfD unterschätzt wurden – im Gegenteil, das Thema rückte emotional und gedanklich näher an die Leute heran. Die Sorge vor möglichen Störungen durch Parteianhänger erwies sich als unbegründet. Fast alle Diskussionen verliefen lebhaft, intensiv und zivilisiert. Nur ein einziges Mal organisierte eine lokale AfD-Gruppe einen Proteststand vor dem Kino gegen den angeblich „tendenziösen Verunglimpfungsfilm“ – vermutlich, ohne ihn gesehen zu haben.
Die meisten Zuschauer blieben nach dem fast zweistündigen Kinoerlebnis mindestens noch eine Stunde zur Diskussion, oft deutlich länger. Endlich geschah, was ich mir immer gewünscht hatte: Die Gespräche verlagerten sich vom Film weg auf das eigentliche Thema. Im Zentrum stand die Frage: Was bedeutet diese Partei – mir persönlich? Welche neuen Fragen wirft sie auf? Bald empfahl uns Vision Kino – insbesondere dank Leopold Grün und Peter Schütz – bundesweit an Schulen.
Anfang 2024 folgte die Correctiv-Recherche zu den „Remigrations“-Plänen auf dem Potsdamer „Geheimtreffen“. Überall gründeten sich zivilgesellschaftliche Initiativen gegen den Rechtsruck – und viele entwickelten auch das Bedürfnis, tiefer über die AfD nachzudenken. In diesem Moment kam unserem Film das entgegen, was TV-Redaktionen eigentlich fürchten: Er drohte zu veralten – durch die immer neuen Höhenflüge der Partei und den endgültigen Sieg des völkischen Höcke-Flügels. Die zerstrittene AfD auf der Leinwand wirkte nun beinah wie ein Relikt aus einer fast schon zurückwünschenswerten Zeit. Da wirkte es erträglicher, dass der Film ein gefährliches Phänomen ohne erhobenen Zeigefinger beschrieb.
Es folgte eine überraschend lange, vielfältige zweite Tour: Eine deutsche Partei wurde vor der Europawahl über mehrere Monate wöchentlich in verschiedenen Tagungshäusern der IGBCE gezeigt. Bei der Stiftung „Kultur und politisches Bewusstsein“ in Butzbach liefen wir ebenso wie in einem Foodsharing-Café in Stuttgart, am Institut für Sozialforschung in Frankfurt ebenso wie in Multiplexkinos in Klein- und Großstädten. Ich war zu Gast an Gymnasien in Thüringen, an Berufsschulen in Niedersachsen, in Kulturscheunen, auf internationalen Konferenzen, bei SPD-Juso-Abenden, auf Podien mit Extremismusforschern, Politolog:innen, Parlamentarier:innen – und natürlich mit Teamkollegen wie Sebastian Winkels. Manchmal kamen 300 Menschen, manchmal 150, gelegentlich nur fünf – aber fast immer entstand daraus ein Gespräch.
Meine Methode war einfach: Ohne weiter etwas vorzugeben, fragte ich die Zuschauer:innen nach ihren persönlichen Gefühlen und Gedanken beim Anschauen. Wenn eine Szene zu umstandslos als Beleg für Rechtsextremismus gedeutet wurde, zeigte ich alternative Sichtweisen auf – nicht, um zu relativieren, sondern um Differenz und Nachdenklichkeit zu ermöglichen, dazu aufzufordern, genau hinzusehen und die eigenen Argumente zu prüfen. Erst dadurch trauten sich auch vereinzelt erscheinende Sympathisant:innen der AfD oder Menschen mit Verständnis für bestimmte Positionen aus der Deckung. Sie ließen sich gut moderieren – und dominierten nie.
Ich erinnere mich an mehrere Schulvorführungen, in denen Lehrkräfte erstaunt feststellten, wie viele Schüler TikTok-Accounts wie den von Maximilian Krah abonniert hatten – und gleichzeitig erleichtert waren, dass die allermeisten jungen Leute benennen konnten, was ihnen am Gezeigten falsch und verwerflich erschien. Die befürchtete Enttabuisierung blieb aus, weil das Tabu, wie sich zeigte, ohnehin nie so effektiv gewesen war. Viele Jugendliche freuten sich vielmehr darüber, etwas zu sehen, das Pädagogen für schädlich hielten – und sich selbst eine Meinung dazu bilden zu dürfen. Lehrer:innen berichteten mir hinterher, wie verblüfft sie waren, dass ihre Schützlinge es überhaupt hinbekommen hatten, zwei Stunden konzentriert zu folgen – ohne alle paar Minuten auf ihr Handy zu blicken.
In dem bekannten Jugendclub „CD-Kaserne“ in Celle kam es zu einer erstaunlichen Szene. Nach der Vorführung entspann sich unter den 120 Leuten im Alter von 16 bis 22 Jahren ganz von selbst eine kontroverse Debatte, ohne irgendeine Moderation. Erst nach zwanzig Minuten erinnerte Sebastian Ramnitz das Publikum daran, dass auch der Filmemacher anwesend sei, und schlug vor, mal eine Frage an mich zu stellen.
Im Kopf geblieben ist mir auch eine Veranstaltung in der IGBCE, in der sich so etwas wie ein kleiner Eine-deutsche-Partei-Fanclub gebildet hatte. Ein Zuschauer berichtete, er habe den Film nun schon zum dritten Mal gesehen. Durch die Corona-Berichterstattung habe er eigentlich das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verloren. Deshalb sei er unserer staatlich geförderten Doku zunächst skeptisch begegnet – „bestimmt wieder nur betreutes Denken“, habe er vermutet. Erst nach dem ersten Ansehen habe er verstanden, dass der Film ihm tatsächlich zutraute, sich eine eigene Meinung zu bilden. Er habe ihn dann zuhause noch einmal allein angesehen – und an jenem Abend in der Gewerkschaft zum dritten Mal. Erst dann meldete er sich auch in der Diskussion zu Wort. Sein Fazit: „Die sind Murks.“
Ein weiteres Mitglied äußerte, Eine deutsche Partei habe sie hoffen lassen, dass es unter den AfD-Wählern vielleicht doch noch Menschen gebe, mit denen man reden könne. Sie engagiere sich seit Jahren gegen rechts und war beeindruckt, dass der Film „nicht verachtet“, sondern den Protagonisten ihre Würde lasse – etwas, das viele Rechte anderen verweigerten.
Ein dritter Zuschauer berichtete, der Film habe ihn so sehr in seinen Bann gezogen, dass er beim Ansehen das Gefühl hatte, er drehe ihn selbst – mit einer Mischung aus Faszination und Abgestoßensein. Ein subtiler Horror habe ihn erfasst, der über den Filmverlauf immer mehr zugenommen habe, nachdem der Filmanfang ihn zunächst wegen der Alltäglichkeit des Gezeigten irritierte.
Hinter dem positiven Feedback steckt, glaube ich, ein Element von „Empowerment“, das ein beobachtender Dokumentarfilm erzeugen kann. Gerade weil Eine deutsche Partei keine fertige Deutung vorgab, forderte er vom Publikum eine eigene Anstrengung beim Verstehen und Interpretieren – und traute den Menschen dies auch zu. Das bedeutete „Arbeit“, wurde aber oft als „befreiend“ beschrieben. Aus einem gewissen Maß an Überforderung entstand eine produktive, erkenntnisfördernde Unruhe. Für sensible Menschen oder solche, die sich als Zielgruppe rechter Feindbilder fühlen mussten, stellte das unmittelbare Versetztwerden in den Kommunikationsraum der Partei eine Zumutung dar, war oft „schwer auszuhalten“ – dennoch äußerten auch sie ihre Wertschätzung für diese Form der Darstellung.
Verantwortliche von Institutionen bemerkten manchmal nach Veranstaltungen, meine Anwesenheit habe wesentlich zum Gelingen des Films beigetragen – ein zweischneidiges Kompliment, das indirekt zum Ausdruck brachte, es handele sich um ein Werk, das man besser nicht „unbeaufsichtigt“ gucken solle. Was, wenn jemand beim Anschauen das „Falsche“ dachte? Ein solches Misstrauen gegenüber dem Publikum halte ich nicht bloß taktisch für einen Bumerang – mit Blick auf alles, was ich bisher über die Psychologie potenzieller AfD-Wähler:innen gelernt habe –, sondern auch für unbegründet. Natürlich konnten meine Co-Moderator:innen, eingeladene Expert:innen und ich Fragen beantworten, die Bereitschaft zur Diskussion abrufen und fördern. Doch relevante Auseinandersetzungen entstanden ebenso im Stillen und in privaten Gesprächen – in Cafés und Wohnzimmern, lange nach dem Abspann. Immer wieder erreichten mich Zuschriften wie: „Ich und meine Freundin haben nach dem Kino noch bis zum Morgengrauen darüber gesprochen und gestritten.“
Die Liste an Fragen, die in den Filmgesprächen diskutiert wurden, ist lang. Welche Rolle spielen Abstiegsängste, Entwertungserfahrungen, autoritäre deutsche Traditionen, politische Repräsentationslücken, Globalisierung, das Verhältnis zwischen Ost und West, der Medienwandel? Während es bei den Gewerkschaften auch um spezifische Gründe für den hohen AfD-Wähleranteil in der Industriearbeiterschaft ging (Stichwort: Energiewende) und um den praktischen Umgang mit populistisch orientierten Mitgliedern, sprachen wir in den Schulen über die Anziehungskraft radikaler rechter Subkulturen und Online-Communities, über (toxische) Männlichkeit und natürlich Migration und Rassismus.
Als Teil einer akademischen Arbeitsgruppe zum Thema Den Feind filmen?, initiiert von der Kulturanthropologin Christine Moderbacher, hatte ich Gelegenheit, die dokumentarfilmtheoretischen Aspekte meiner Arbeit zu reflektieren. Gemeinsam veröffentlichten wir ein Roundtable-Gespräch in der Zeitschrift Montage AV und stellten unsere Thesen auf einem Panel der Visible Evidence Conference im italienischen Udine vor.
Natürlich wurde über Eine deutsche Partei auch gestritten. In einem Kulturzentrum mit linker, antifaschistischer Tradition etwa zeigte sich ein Drittel der Zuschauer:innen – eher die älteren Semester – empört über die vermeintliche Milde des Films. Ihnen fehlten die investigativen Erklärungen zu Netzwerken und Geldflüssen im Hintergrund. Ein anderes Drittel – eher die Jüngeren – hielt dagegen: Man sähe oft genug nur „Propaganda für die richtige Sache“. Eine kleine Gruppe verließ daraufhin sogar den Saal und knallte die Tür. Die Veranstalterin war trotzdem zufrieden – und ich auch. Das Thema ist komplex, und unsere Verantwortung groß – da sollen Kontroversen nicht ausbleiben.
Eine ähnlich aufgeladene, aber anders gelagerte Situation ergab sich in einem Berliner Stadtteilzentrum – wenige Wochen vor der letzten Bundestagswahl. 150 Leute kamen: Mitglieder der Kirchengemeinde, Corona-Skeptiker, AfD-Wähler:innen, Anhänger:innen von SPD und Grünen, viele Jugendliche mit Migrationsgeschichte. Die Stimmung war angespannt, es wurde emotional, aber es blieb ein Austausch. Ein Jugendlicher berichtete von persönlichen Diskriminierungserfahrungen und davon, wie sehr ihm der Aufstieg der Rechten Angst mache. Auf dem Podium saß neben mir der Extremismusforscher Hendrik Hansen. Wir sprachen über die manchmal feinen, aber wichtigen Unterschiede zwischen „rechts“, „rechtspopulistisch“ und „rechtsextrem“. Wir mussten auch einiges einstecken: Einer warf uns vor, für den Verfassungsschutz zu arbeiten, ein anderer wurde wütend, als wir uns skeptisch zu einem Parteiverbot äußerten.
Der Abend endete nur deshalb, weil der Veranstalter nach Hause musste. Viele trugen sich in spontane Kontaktlisten ein – sie wollten weiterreden. Wenige Tage später schrieb einer von ihnen Prof. Hansen eine E-Mail: Ob er 30 Minuten seiner Zeit bekommen könne. Er wolle ruhig zuhören und verstehen, warum er die AfD nicht wählen solle. Hansen sagte zu.
Für eine ganze Weile war die Tour mit Eine deutsche Partei meine Hauptbeschäftigung. Sie führte mich zu weit über hundert Veranstaltungen – vor tausende Menschen, die miteinander über die zentralen Herausforderungen unserer Demokratie diskutierten. Oft über den Kinosaal hinaus.
Ich möchte allen danken, die das möglich gemacht und mich auf diesem Weg begleitet haben.
Simon Brückner, Mai 2025
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